Everybody’s Gone To The Rapture: schleichende Faszination


Wie schreibt man einen Test zu einem Spiel, dass wirklich nur ansatzweise als Spiel anzusehen ist? Legt man den Fokus voll auf die Erzählung? Was wenn die Erzählung aus kleinen Häppchen besteht, die man als Spieler selbst zusammenstückeln muss? Ja, Everybody’s Gone To The Rapture ist ein seltsamer Titel und einer der abseits es PS Plus Abos wohl an mir vorbeigegangen wäre. Aber so konnte ich mir dieses wunderschöne Machwerk ansehen und habe die Chance euch davon zu überzeugen, dass Everybody’s Gone To The Rapure etwas ist, das ihr nicht verpassen solltet. Lest weiter!

Wo sind denn alle?


Ihr erwacht am auf einem Hügel am Rande einer verlassenen Siedlung. Aus einem Radio spricht eine Frau zu euch. Sie hätte sich am anderen Ende des Tals verschanzt und hofft, dass noch jemand da ist. Also beginnt ihr euren Weg. Schon bald trefft ihr auf leuchtende Kugeln, die vor euch durch das idyllische Tal schweben und euch auf eine seltsame Art und Weise den Weg weisen. Doch andere Menschen scheint es nicht mehr zu geben. Als ihr das Dorf erreicht, seht ihr zum ersten Mal leuchtende Visionen der Menschen, die dort gelebt haben. Bekommt Einblicke in die letzten Stunden und Tage der Einwohner.

Das Ehe- und Forscherpaar Kate und Stephen haben etwas entdeckt und in unsere Welt gelassen. Was das nun für Folgen hatte und was genau dieses „Etwas“ eigentlich ist, das ist nur eines der vielen Rätsel, die es zu klären gilt.

Die grundlegende Story von Everybody’s Gone To The Rapture ist im Kern gar nicht so umfangreich, dafür aber sehr emotional und charaktergetrieben erzählt. Dass sich die Ereignisse auch erst Stück für Stück aufdecken und viel Raum für Interpretationen bleibt, sorgt für zusätzliche Spannung. Die größte Errungenschaft dabei ist, dass ihr nie mehr als schemenhafte Darstellungen der einzelnen Charaktere zu sehen bekommt, diese euch aber in kürzester Zeit ans Herz wachsen. In insgesamt fünf Kapiteln geht ihr der Geschichte eines einzelnen Charakters nach und durchlebt deren letzten Stunden.

Dabei solltet ihr keine actiongeladene Sci-Fi Geschichte erwarten, sondern eher ruhige Mystery mit einem sehr hohen emotionalen Anteil. Die Liebe von Kate und Stephen steht im Mittelpunkt. Wenn so zum Beispiel Stephens Jugendliebe auf den Plan tritt oder dessen Mutter, die sich mit der ausländischen Frau nicht wirklich anfreunden kann, dann sorgt das für einige sehr emotionale Momente, vor allem zum Ende der einzelnen Kapitel.

Viel mehr möchte ich aber nicht verraten, da man diese Erzählung einfach selbst erleben muss!


Minimale Interaktion


Den eigentlichen Gaming-Anteil kann man sehr kurz fassen. Ihr lauft, schaut euch um, öffnet Türen und dürft ab und zu das Gamepad hin und her schwenken um Aktionen auszuführen. Damit fällt es schwer Everybody’s Gone To The Rapture als „echtes“ Spiel zu bezeichnen. Echte Rätsel werdet ihr auch nicht finden. Und trotzdem habe ich nur einen einzigen Kritikpunkt. Die Laufgeschwindigkeit. Während mir die Erzählung, die Spielwelt und die Suche nach neuen Informationen mich immer weiter ins Spiel hineingesaugt haben und ich kaum noch davon losgekommen bin, lief mir der Protagonist einfach viel langsam durch die Spielwelt. In einem Spiel, in dem 90 Prozent der Zeit gelaufen wird, ist es doch nervig, wenn man nicht mal im Schritttempo vorankommt.

Idyllische Szenerien


Das langsame Tempo hat aber den Vorteil, dass ihr genug Zeit bekommt euch an den wunderschönen Kulissen zu erfreuen. Everybody’s Gone To The Rapture sieht einfach hervorragend aus. Das Tal ist detailverliebt ausgeschmückt. Überall gibt es nette Kleinigkeiten zu entdecken. Auch wenn die Welt unbewohnt ist, so wirkt sie doch sofort greifbar und lebendig. Egal ob es die Häuser mit ihren hübschen Gärten oder später ein Camping-Platz oder weite Weizenfelder sind, immer wieder wollte ich einfach nur stehenbleiben und die Szenerie auf mich wirken lassen.
Beleuchtung, Design und Detailgrad sind auf einem extrem hohen Niveau und das alles trägt dazu bei, dass man geradeso in dieser Spielwelt versinken kann. Es ist die für realistischste Darstellung einer Spielwelt.

Zauberhafte Klänge


Die außerordentlich gelungene Präsentation hört bei der Optik aber nicht auf. In einem Spiel, dass getrieben von Charakteren erzählt wird, die ihr nie richtig zu Gesicht bekommt ist deren Vertonung umso wichtiger. Wie gut, dass hier eine Synchronisations-Meisterleistung abgeliefert wird. Ich hatte erst Bedenken auf Deutsch zu spielen, aber hier kann ich Entwarnung geben. Alle Synchronsprecher, ohne Ausnahme, machen einen hervorragenden Job und schaffen es nur mit der Stimme kleinste Nuancen auszudrücken und packen zu erzählen.

Abgerundet wird das extrem gute Gesamtbild durch den fantastischen Soundtrack. Ein großes Lob an die Komponistin Jessica Curry, die mit ihrer Musik immer den richtigen Ton trifft. Sanfte Streichmusik, die sich größtenteils zurückhält und im genau richtigen Moment an Fahrt gewinnt um die an sich schon emotionalen Momente noch stärker wirken lässt. Einfach nur großartig. Spätestens jetzt solltet ihr auf jeden Fall daran denken Kopfhörer zum Spielen aufzusetzen. Gänsehaut!

An dieser Stelle findet ihr wie immer das Video zum Test.


Fazit


Ich hatte keine Erwartungen und wurde dementsprechend überwältigt. Ich muss aber auch zugeben, dass ich ein Freund von solchen Story-getriebenen Experimenten bin. Mit einer packenden und emotionalen Geschichte schafft es Everybody’s Gone To The Rapture die mangelnde spielerische Tiefe zu überdecken und den Spieler in die glaubhafte und wudnerschöne Spielwelt zu saugen. Ich konnte gar nicht mehr aufhören. Solltet ihr euch auf solche Experimente einlassen könne, dann überlegt nicht länger und schlagt zu. Wenn ein Spiel beweisen kann, dass Spiele zu so viel mehr fähig sind, als digitale Soldaten über den Haufen zu schießen, dann Everybody’s Gone To The Rapture.

Pro:

Kontra:

+ spannende, emotionale Erzählung
- zu langsames Lauftempp
+ greifbare Charaktere, obwohl man sie nie richtig sieht
- fehlende Rätsel, die das Gameplay verstärkt hätten
+ realistische, wunderschöne Spielwelt

+ Raum für Interpretationen

+ zauberhafter Soundtrack



Wertung: 9 / 10



Nur durch den Zusatz von „echten“ Rätseln hätte das hier ein wahres Meisterwerk werden können. 

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